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Trilogie WELTEN WENDEN MENSCHEN Teil I II III

-Welten Wenden Menschen – eine theatralisch-musikalische Performance zur Situation unserer Zeit-
 

WU WEI REKORT LOEW zeigt ein Destillat der Trilogie WELTEN WENDEN MENSCHEN und bringt die Verhältnisse unter dem Livesound von Marcel Deamgen zum Tanzen – Selbstverlust statt Selbstkontrolle! / Rock you baby!
 

(Produziert  von WUWEI REKORT LOEW in Koproduktion mit dem Künstlerhaus Mousonturm Frankfurt, gefördert vom Kulturamt  Frankfurt und dem Hess. Ministerium für Wissenschaft und Kunst)

Diashow

Regie / Video

Sabine Loew

Akteure

Marcel Daemgen, Nicole Horny, Liese Lyon, Angelika Sieburg

Dramaturgie / Text

Heike Kortenkamp, Steffen Lars Popp

Produktionsdramaturgie / Autor

Steffen Lars Popp

Ausstattung

Andrea Uhmann

Sound 

Oliver Augst / Marcel Daemgen

Organisation

Hartmut Navin-Borgwald

Welten Wenden Menschen – ein theatralisch-musikalische Performance zur Situation unserer Zeit.

Von Dietrich Stern – Musikwissenschaftler/ Theatermusiker nach Sichtung der Aufführung am 15. 4. 2014 im Künstler Haus Mousonturm

Wenn man im Freien Theater über mehr als drei Jahre eine Aufführungs-Trilogie plant und umzusetzt, dann zeugt das von Mut, Ausdauer, umfassendem konzeptionellem Denken – und sehr stabilen Arbeitsbeziehungen. Das Team, das sich unter dem Namen WUWEI REKORT LOEW zusammengefunden hatte, blieb tatsächlich in allen Teilen – Text, Regie/ Video Sabine Loew, DarstellerInnen, Dramaturgie Heike Kortenkamp, Steffen Popp, Ausstattung Andrea Uhmann, Sound, Musik Oliver Augst, Marcel Daemgen und Produktion zusammen. Die gemeinsame Basis liegt vom Anfang bis heute in der Lust am Experimentellen ebenso wie in der Suche nach dem Essentiellen. Den Beobachtungen an einer Straßensperre zwischen Jerusalem und Ramallah von Lia Nirgad („Human Checkpoint“, 2010) folgten Beobachtungen aus der unmittelbaren Umgebung der Schauspieler und Künstler („Ich finde es gut, dass im Theater alle umsonst arbeiten. Da ist man doch gerne dabei.“ 2011). Der dritte Teil schließlich – „Was ihr wollt: Theatrales Findbuch“ - versammelt Beobachtungen in der und in die Zukunft zwischen Utopie und Weltuntergang (2013). Alle drei Stücke kamen als selbständige Theaterabende am Mousonturm heraus. Alle zeigen den Menschen „in der Revolte“, das heißt in dem Versuch, sich selbst in den Umwälzungen der Gegenwart, die vom Allgemeinsten bis in das Privateste reichen, zu begreifen. Deshalb kann man sie als „Forschungsarbeiten“ mit starken dokumentarischen Teilen betrachten, die auch eine Öffnung der theatralen Formen hin zum „Postdramatischen“, ja bis zur textlich-musikalischen Performance erforderten.

Als „Welten Wenden Menschen“ lag die Trilogie im April 2013 vollständig vor. Doch wie führt man sie nun als Ganzes auf? Einfach Stück für Stück nacheinander spielen? Das wäre möglich und ergäbe sicher ein spannendes, großes Theaterfest. Jedoch kamen die Theatermacher auf eine ganz andere Idee, die ihre Freiheit im Denken und im Umgang mit den eigenen Inszenierungen zeigt: Sie spielten die drei Stücke gleichzeitig.

Was da im April 2014 im Mousonturm über die Bühne ging, war wieder etwas völlig Neues, eine Performance, der die vorangegangenen Inszenierungen „nur noch“ als Material dienten. Die drei Schauspielerinnen verkörperten jede jeweils ein Stück: Angelika Sieburg „Human Checkpoint – Winter in Qualandia“, Liese Lyon (statt Anja Bilabel einzige Änderung in der Besetzung) den Teil II über das Theater, Nicole Horny schließlich die utopische Performance „Was ihr wollt“. Den vierten Part des Abends gab der Sound-Ingenieure Marcel Daemgen am Korg-Synthesizer.

Vier Parts – vier Stimmen – das hört sich an wie Musik und das war auch Musik: eine vierstimmige Partitur aus Texten und Sound. Und wie in der Musik konnten sich die Stimmen dicht überlagern, ja manchmal fast auslöschen, oder gegenseitig anstoßen und beleben, über Kontraste Dramatik erzeugen, oder ein Solo herausstellen und wirken lassen, oder über das zweistimmige Duett bis zur Stille führen, zur Pause, zum Innehalten und Atemschöpfen...

Eine wunderbare Vielfalt entstand aus dem gegenseitigen Bezug dreier sehr verschiedener darstellerischer Charaktere, die immer wieder verbunden und aufeinander bezogen wurden durch den Sound. Angelika Sieburg als die Frau am „Human Checkpoint“ spielte vor allem mit sanften, manchmal geisterhaften Tonfällen, die bis zum Singen gehen konnten – was sie dann mit Mahlers „Ich bin der Welt abhanden gekommen“ auch tat.

Liese Lyon brachte ihre Texte über das Arbeitsleben der Schauspieler mit umwerfender Nüchternheit und lakonischer Sachlichkeit. Nicole Horny dagegen bei ihrem Streifzug durch die Zukünfte der Menschheit verwandelte sich in eine Sprechmaschine, die in irrer Geschwindigkeit Texte ausstieß und repetierte.

Sinnfällig und bühnenwirksam waren so die drei Theaterstücke durch die unterschiedliche Charakteristik der Darstellerinnen repräsentiert. Dennoch: wie lässt man die drei Partien gleichzeitig laufen, ohne dass Durcheinander und Beliebigkeit entsteht? Wie organisiert man den sinnvollen Bezug, das Zusammenspiel, wenn man will, die Musik? Das geschah durch ein wirklich kühnes Verfahren, nämlich die Freiheit der Improvisation. Es wurde nicht genau festgelegt, in welcher Abfolge die drei Texte ablaufen und wie sie zusammentreffen sollten. An bestimmten Momenten schien der Abend in einer Pause stillzustehen. Zartes Kontakt-Aufnehmen untereinander, Blicke, eine zögernde neue Vorgabe – und in der Reaktion aufeinander spannte sich ein neuer inhaltlicher Bogen auf. In der Freiheit, die der Abend hatte, stiftete sich zugleich sein tiefster Sinn. Israelisch-palästinensisches Schicksalsspiel am Grenzübergang, die Frage nach dem alltäglichen Leben und Überleben des Künstlers, und schließlich: wo wird die Menschheit landen, wo bringt sie sich selbst hin, oder bringt sie sich selbst um? Diese Themenfelder bekamen ihren sinnvollen Bezug aufeinander durch die Offenheit, ja Unvorhersehbarkeit des Bühnengeschehens. Die Musikgeschichte der 60er Jahre kannte ein ganz ähnliches Vorgehen unter dem Begriff „Aleatorische Musik“. Vorgegebene Einzelstimmen oder Musikteile konnten nach der jeweiligen Entscheidung der Musiker aus dem Moment heraus in unvorhersehbaren Abläufen und Kombinationen zusammentreffen. Im Extremfall wurde darum gewürfelt – daher „Aleatorik“. Das entscheidende Element aber blieb die gegenseitige Aufmerksamkeit, die Sinnstiftung aus dem Moment, wie in jeder ernstzunehmenden Improvisation.

Spielerisch waren auch Elemente der Ausstattung aus allen drei Produktionen auf der Bühne verteilt. Ein Vorspiel, aus der Garderobe als Begrüßung in den Zuschauerraum gesendet, öffnete schon vor dem Beginn die Aufmerksamkeit und die Lust auf das Experimentelle des Abends.

Der vierte Part dieses Spiels, der Sound-Generator, war klar als Mittelpunkt in der Mitte der Bühne aufgebaut. Er sorgte dafür, zwischen den Sprechpartien zu vermitteln, Energie in die eine oder andere Richtung zu schicken, Höhepunkte bis zur Krise zu treiben, rhythmische Struktur zu unterlegen oder in fahlen Klangfarben imaginäre Räume zu öffnen. Diese Art des mitunter spontanen Klang-Designs aus elektronisch erzeugten oder real aufgenommenen und gesampelten Sounds wird ja von den Machern selbst nicht als Musik bezeichnet, sie machte aber ganz wesentlich den ordnenden, steuernden, immer wieder „musikalisierenden“ Teil der Performance aus.

Mit einem vierstimmigen Kanon von Joseph Haydn, „O Tod“, hatte der Abend übrigens begonnen und damit den vierstimmigen Klang, den er bis zum Ende behalten sollte, bereits angeschlagen.

Experimentelle Verfahrensweisen als eine Stellungnahme zu den Fragen unserer Zeit – das wurde hier konsequent, gekonnt und überzeugend in die Tat umgesetzt.

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